Wir leben in einer Gesellschaft, in der immer mehr Inhalt in immer weniger Zeit gepackt werden soll. Neben Arbeit, Haushalt, Kindern soll der Körper fit, die Ernährung bewusst und die Seele in Balance gehalten werden. Bei immer stärker aufgeweichten Rollenbildern haben viele mittlerweile das Gefühl, immer und für alles zuständig zu sein. Dazu kommt noch eine permanente mediale Beeinflussung, die uns in jeder Lebenslage einsouffliert, wie wir noch bessere, achtsamere, bewusstere, gesündere oder glücklichere Menschen werden können. Vieles was früher einfach Spaß gemacht hat und der Zerstreuung diente, ohne viel Nachdenken zu erfordern, ist heute (leider vielfach zurecht!) als klimaschädlich, tierwohlfeindlich oder ungesund verpönt.
Bereits vor einigen Jahrzehnten konnte im Zuge der Emanzipation der Frau eine Entwicklung festgestellt werden, bei der ein steigender Erwartungsdruck an die Geschlechter in ihren Rollen zu bemerken war. Man/frau war nicht mehr nur Vater, Mutter, Partner, Freundin oder Freund, sondern jede und jeder sollte sich mehr und mehr sowohl im Beruf als auch in der Familie optimal engagieren, sich nebenbei fit und gesund halten, einen illustren Freundeskreis pflegen und möglichst auch eine auf jeder Ebene erfüllende Liebesbeziehung führen. Selbstoptimierung war das Zauberwort auf jeder Ebene.
Mit der Zeit sind die Dinge aber leider noch komplizierter geworden. Wir werden immer mehr, die Ressourcen hingegen weniger, alles entwickelt sich immer schneller, die Digitalisierung hat mit Siebenmeilenstiefeln Einzug gehalten, der Ton wird rauer, die Hemmschwelle für An- und Übergriffe sinkt. Neben den oben genannten Dingen soll „mensch“ heute u.a. auch noch genderneutral, politisch korrekt, grenzenlos tolerant und klimafreundlich sein. Vor allem getriggert durch die (sozialen) Medien gibt es heutzutage quasi keinen Bereich mehr, in dem man unangreifbar ist. Und ja, wir alle müssen auf uns und unsere Erde achten, denn wir haben nur die eine und ich will damit nicht sagen, dass das alles überflüssig ist! Doch es bewirkt auch eine Erschöpfung bei vielen Menschen, die nicht mehr wissen, was eigentlich noch richtig ist und was falsch.
An dieser Stelle angekommen hilft es durchaus, sich selbst und die eigenen Ansprüche mal zu überdenken und neu zu definieren. Natürlich hat jeder von uns eine Verantwortung für unsere Welt, die wir nicht ignorieren dürfen. Doch genauso hat jeder von uns das Recht, sich wohlzufühlen in und mit seinem Leben. Es ist für keinen von uns möglich, ein absolut perfektes Leben zu führen und leider können wir das auch unseren Kindern nicht bieten. Wir werden immer irgendwo Anstoß erregen, jemandes Erwartungen nicht erfüllen oder dessen Unmut erregen. Und wir werden auch immer andere Menschen sehen, deren Handeln uns nicht gefällt und die wir dennoch akzeptieren müssen. Hier die Balance zu finden, ist nicht immer leicht, aber möglich. Wir müssen einfach nur aufhören perfekt sein zu wollen!