Vielen fällt sie ziemlich schwer, manche sehen gar keinen Grund für sie, seit einigen Jahren ist sie bereits Gegenstand wissenschaftlicher Forschung: Die Dankbarkeit.
Das Thema kommt mir heute in den Sinn, nachdem ich am Nebentisch im Restaurant eine längere Diskussion zweier älterer Herren ungewollt mitangehört habe. Der eine wollte bei der Rechnung halbe halbe machen, der andere bestand auf detaillierter Aufrechnung. Nach einigem Hin und Her erklärte der letztere, dass er immer genau das bezahlen möchte, was er verzehrt hat, damit er im Falle eines Ungleichgewichts zu seinen Gunsten niemandem Danke sagen muss. Eine erstaunlich tiefgehende Erkenntnis, fand ich, angesichts der Situation und der schon leicht gestressten Servicekraft.
Ich selbst hatte dabei aber noch eine ganz andere Erkenntnis:
Der Herr mit dem Wunsch nach der Detailrechnung hatte während der ganzen Zeit, die die beiden neben mir am Tisch saßen, recht lautstark das Wort geführt. Er war elegant gekleidet und machte einen geschäftigen, aktiven und auch dominanten Eindruck, wie jemand, der gerne das Sagen hat. Was er auch in dieser Situation hatte, denn am Ende hat er sich durchgesetzt. Seiner Rechnung hat er dann noch ein sehr großzügiges und wortreich kommentiertes Trinkgeld hinzugefügt. Der andere hingegen, der die Rechnung einfach in zwei Teile aufteilen wollte, wirkte ganz gemütlich und gelassen. Seine Statur zeugte von einem Genussmenschen, sein Blick war nachsichtig, seine gesamte Erscheinung dezent.
Was hat diese Anekdote mit dem Thema Dankbarkeit zu tun?
Nun, es verwundert bei näherer Betrachtung wenig, dass der eine Herr ein Thema mit dem Annehmen hat. Ihm geht es offenbar wie sehr vielen von uns: Wir verausgaben uns, legen viel Wert auf unsere Außenwirkung und geben viel lieber für andere (von denen wir dann vermutlich schon irgendeine Form der Dankbarkeit erwarten), als dass wir etwas annehmen würden, wofür wir dankbar sein müssten.
Doch wenn Geben und Nehmen nicht im Ausgleich ist, wenn das Gefühl der Dankbarkeit sich nicht mehr einstellen will, weil wir den Eindruck haben, dass es nichts gibt, wofür wir dankbar sein könnten, dann läuft etwas schief und auf lange Sicht hat das Folgen. Wir erschöpfen unsere Ressourcen immer mehr, unsere Akkus laufen leer, wir fühlen uns ausgebrannt.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns hin und wieder fragen: Wofür bin ich jetzt gerade dankbar in meinem Leben?
Und wenn Sie jetzt sagen, ich bin dankbar, dass ich mich immer auf mich selbst verlassen kann, dann ist das eine wunderbare Sache! Doch vielleicht gibt es noch etwas oder jemanden, auf den oder die Sie sich verlassen können, wenn Sie doch mal ausfallen sollten? Jemanden, der Ihnen familiär oder freundschaftlich zur Seite steht, der Ihnen hilfreich ist, von dem Sie auch mal ein Geschenk annehmen dürfen? Vielleicht ist es auch schlicht das Leben selbst, dem Sie danken dürfen?
Es ist emotional ganz wichtig, dieses Gefühl der Dankbarkeit bewusst zu empfinden und zuzulassen. Es bringt uns ins Hier und Jetzt zurück, zeigt uns, dass wir soziale Wesen sind, die nur im gegenseitigen Austausch und miteinander funktionieren, es zeigt uns, dass wir auch Schwächen haben, wo andere vielleicht ihre Stärken haben. Dankbarkeit lenkt unseren Blick für einen Moment lang von häufig negativen Gedanken auf etwas Gutes in unserem Leben, auf etwas, das wir geschenkt bekommen haben. Dankbarkeit macht uns bewusst, dass nicht alles selbstverständlich ist. Und nicht zuletzt: Dankbarkeit setzt Annehmen voraus und Annehmen bedeutet Entlastung für unser individuelles Ich!
All diese Gedanken sind wie eine wohltuende Dusche für unsere Seele. Sie setzen die Prioritäten wieder auf die richtige Position und fluten unseren Körper mit Glückshormonen, die sich auch körperlich positiv auswirken.
Wenn Sie also feststellen, dass Sie sich häufig ausgebrannt und überfordert fühlen, stellen Sie sich doch gelegentlich mal die Frage, wofür Sie dankbar sind und was im Leben Sie gut annehmen können.
Ich danke Ihnen für Ihr Interesse an meinem Blog!
Dr. Dominique Schwarz, Heidelberg